Freyung| "Na, da bin ich mal gespannt", so eine Fachkraft der Caritas Wohngruppen in Schönberg. "Zur Fortbildung bin ich bisher noch nicht ins Kino gekommen!"
Schnell war den 54 Fachleuten aus der regionalen Kinder- und Jugendhilfe klar geworden, dass das Drama "Systemsprenger"
nicht zur Unterhaltung diente, sondern die - oft verstörenden - Momente aktueller Sozialarbeit in Deutschland aufzeigte.
Zum Film
Im Zentrum der cineastischen Produktion steht Benni, ein neunjähriges Mädel, das aufgrund seiner extremen Neigung zu Gewalt - auch gegen sich selbst. Aus einer Vielzahl von Betreuungseinrichtung der Kinder- und Jugendhilfe - sei es Pflegefamilie, Wohngruppe oder Sonderschule - ist Benni bereits geflogen. Die stationäre Psychiatrie-Einweisung nur eine zeitlich begrenzte Möglichkeit. Hilflosigkeit, wie mit dem Kind zu verfahren sei, bei allen. Denn sämtliche fachlich geratenen Sanktionen scheitern an der zutiefst halt- und orientierungslosen Grundschülerin, die radikal sämtliche Normen verweigert, keine Bindungen eingehen kann.
Professionelle Einordnung
"Wir haben in unserer Arbeit immer wieder mit solchen Einzelfällen zu tun: Wir kennen die Endlos-Spirale, denen die Kinder oftmals ausgesetzt sind", erklärte Alexandra Aulinger-Lorenz (hauptberuflicher Vorstand im Kreis-Caritasverband Freyung-Grafenau e.V.). "Uns ist es wichtig, deutlich zu machen: Es liegt nicht am einzelnen Mitarbeiter, sondern häufig ist das gesamte Hilfesystem damit überfordert. Wir wollten zudem eine ganz andere Art der Fortbildung anbieten, wenn es um Kinder und Jugendliche geht, deren Leben von fast ausnahmslosen Beziehungsbrüchen bestimmt wird und sie damit halt- und orientierungslos werden." Gerade für die professionelle Beziehungsarbeit in den Einrichtungen wären kleinere Gruppen und ein höherer Personalschlüssel wichtig. Es gelte einzelfallbezogene Lösungsansätze in einer individualisierten Jugendhilfe zu finden. "Neue Konzepte müssten umgesetzt werden", forderte Aulinger-Lorenz, "Ein besonderer Schwerpunkt auf die Elternarbeit, also auf die Einbeziehung des ganzen familiären Systems, gelegt werden!"
Hilfe in der Region
Der Kreis-Caritasverband Freyung-Grafenau e.V. hält einige Beratungsstellen, Dienste und Projekte der deutschen Kinder- und Jugendhilfe vor. Darunter auch die drei heilpädagogischen Wohngruppen in Schönberg: St. Vito (Mädchenwohngruppe: 12 - 18 Jahre), St. Valentin (gemischte Wohngruppe: 6 bis 14 Jahre) und - ganz neu - St. Christophorus (Jungenwohngruppe: 12 - 18 Jahre). "Gerade bei solchen Fällen ist eine gute und engmaschige Zusammenarbeit zwischen Jugendamt und Träger der Betreuungseinrichtung entscheidend!", weiß die Chefin des Kreis-Caritas. "Sie bestimmt den weiteren Verlauf. Transparentes Handeln und strukturierte Kommunikation von beiden Seiten ist unabdingbar."
Und wie reagierte nun das Fachpublikum? "Ein zutiefst verstörender Fall", urteilte Barbara Wolf, Fachgebietsleitung im "Lebensraum Schule" und beim "Ausbildungsprojekt Aktion Jugend und Beruf (AJB)". "Wenn junge Menschen ihre sozialen Beziehungen zur Umwelt - egal aus welchen Gründen - verlieren, ist eine fachliche Distanz geboten. Auch meine Jugendlichen sehen mich manchmal als Familienersatz. Das bin ich aber als Betreuerin definitiv nicht - darf ich nicht sein! Ein wichtiger Film, der gezeigt werden muss."
Was sagt das Jugendamt FRG dazu
Auch der stellvertretende Jugendamtsleiter Siegfried Seibold äußerte sich sehr nachdenklich über den gezeigten Film: "Ich halte die erst 9-jährige Benni (noch) nicht für eine Systemsprengerin (auch wenn man im Film möglicher Weise keine Klischees bedienen wollte). Der klassische Systemsprenger ist ganz überwiegend männlich und in der Mehrzahl in der Altersgruppe der 13- bis 16-jährigen Kinder/Jugendlichen. Bei der 9-jährigen Benni würde ich von einem ‚schwer erziehbaren, hoch traumatisierten Kind‘ sprechen, das intensive Unterstützung und insbesondere eine feste und stabile Beziehung/Bezugsperson benötigt. Würde man bei der 9-jährigen Benni schon eine Systemsprengerin annehmen, würde sich die Jugendhilfe aus meiner Sicht schon in dieser frühen Altersphase des Kindes selbst aufgeben bzw. in Frage stellen. Für die Einladung des KJA zu dem im Übrigen hoch spannenden und fachlich höchst ansprechenden Film darf ich mich beim KCV nochmal ganz herzlich bedanken!"
"Systemsprenger" (Drama 2019) ist das Filmdebüt von Nora Fingscheidt mit der Hauptdarstellerin Helena Zengel, die die 9jährige Systemsprengerin Benni ganz exzeptionell mimt. Zur Oskarverleihung 2020 will Deutschland mit diesem Film ins Rennen gehen.
Bildunterschriften: © Grimsmann | Caritas FRG
Teaserbild: Auch Vertreter des Jugendamts FRG waren der Einladung der Kreis-Caritas Freyung- Grafenau, sehr zur Freude des Vorstands, gefolgt.
Bild 1: Der Vorstand des Kreis-Caritasverbandes Freyung-Grafenau e.V hat seine Mitarbeiter aus der Kinder- und Jugendhilfe mit einer Fortbildung der "ganz anderen Art" konfrontiert.
Rückfragen unter:
Claudia Maria Grimsmann,
Fachgebietsleitung Kommunikation
Kreis-Caritasverband Freyung-Grafenau e.V.
mobil 0171 1756 250.